Überraschendes Hagelunwetter (ev. Superzelle) am 28.07.2018 im Erzgebirge

 

Am 28.07.2018 stellte sich, bedingt durch eine Konvergenz vor der Kaltfront von Tief Juli, eine größere Gewitterlage über Deutschland ein, welche eine anhaltende sommerliche bis heiße Trockenperiode zumindest lokal unterbrechen sollte. Die Bedingungen für organisiertere Gewitter waren für Sachsen allerdings alles andere als optimal, und die Windscherung war auch mal wieder mager. Das war zumindest die Sicht der Modelle...


Ab den Mittagsstunden entwickelten sich - wie zunächst auch von den Modellen erwartet - kräftige Wärmegewitter vom Erzgebirge her, die durchaus lokal unwetterartig waren. Dichter, kleinkörniger Hagel und heftiger Starkregen führten mancherorts zu Problemen. Zunächst traf es vor allem die Region um Venusberg. Kräftige Gewitter gingen aber auch über Langenau südlich von Freiberg nieder. Ich versuchte diese Zelle bei Langenau noch zu erwischen, aber das ist bei solch kurzlebigen Gewittern recht schwierig. Letztlich kam ich nur noch in stärkeren Regen, welcher aus der sich deutlich abschwächenden Zelle fiel. Allerdings waren über der Region Lippersdorf vielversprechende, neue Aufwinde zu sehen, weshalb ich diese Neuentwicklung abwartete und nicht der Venusberger Zelle hinterherfuhr, welche zu diesem Zeitpunkt noch stark und aktiv war - eine letztlich gute Entscheidung, wie sich zeigen sollte.

 

Ab Mittag gehen erste Gewitterzellen im Erzgebirge und Vorland hoch...

 

Nachdem die erste Zelle bei Langenau wieder zerfallen ist, entwickeln sich bei Lippersdorf im mittleren Erzgebirge neue Aufwinde...

 

Ab 12:45 Uhr fiel erster starker Niederschlag aus der Neuentwicklung bei Lippersdorf im mittleren Erzgebirge. Erste Blitze zuckten vom Himmel, einer schlug knapp hinter mir ins Feld ein. Dabei war ich mit meinem Standort bei Eppendorf noch ein Stück weit vom eigentlichen Gewitter entfernt. Ich fuhr nun von Eppendorf nach Reifland. Im dortigen Wald ging heftiger Starkregen nieder und immer wieder gab es laute Naheinschläge. In Reifland angekommen lag der Niederschlagsfuß der aktiven Zelle östlich von mir über dem Ort Lippersdorf. Doch an der Westflanke dieser Zelle fielen mir die sehr markante Basen neuer Aufwinde auf. Diese sahen sehr gesund aus und ich behielt sie im Auge. Zunächst aber fuhr ich - gegen 13:15 Uhr - nach Lippersdorf weiter in die bereits aktive Zelle. Im Ort ging heftiger Starkregen nieder, zu dem sich bald dichter Hagel um 1, teils bis 2 cm gesellte. Schlagartig waren die Straßen und die umliegenden Felder weiß vom Hagel, es wurde glatt. Der Starkregen führte zudem zu einigen Überschwemmungen im Ort und es gab immer wieder kräftige Naheinschläge.

 

Bei Reifland sind markante Aufwindbasen erkennbar, welche sich an der Westflanke der mittlerweile aktiven Zelle bei Lippersdorf befinden...

 

Blick auf den Abwindbereich mit Niederschlagskern bei Lippersdorf...

 

Im Ort Lippersdorf fällt dichter Hagel - die Landschaft wird weiß...

 

Hagel von 1 cm, teils bis 2 cm im Durchmesser fällt hier zu Boden...

 

Der heftige Starkregen führt zu Überschwemmungen...

 

Angezuckerte Landschaft und Überschwemmungen in der Ortslage...

 

Langsam schwächte sich dieser Gewitterkern nun aber ab, während die bereits angesprochene Westflanke des Systems zunehmend aktiv wurde. Gegen 13:25 Uhr war bereits ein deutlicher Niederschlagskern aus dieser Neubildung im Bereich Pockau-Lengefeld erkennbar. Langsam schloss sich auch die Lücke zwischen der alten Lippersdorfer Zelle und der Neubildung mit einem dichten Niederschlagsvorhang, während die Blitzrate immer höher wurde. Allerdings waren es auch viele Wolkenentladungen, die kaum oder gar nicht erkennbar waren. Laut Blitzerfassung (kachelmannwetter) legte die Blitzrate nun auf 20-30 Entladungen pro Minute zu. Auch auf dem Niederschlagsradar explodierte die Zelle förmlich. Da der Gewitterkern aber zwischen Forchheim und Lippersdorf durchging, verlegte ich nun Richtung Forchheim an die Talsperre Saidenbach.

 

Aus den neuen Aufwinden westlich der Zelle bei Lippersdorf entwickelt sich eine kräftige Neubildung, welche...

 

... die Landschaft rasch unter einem Niederschlagsvorhang verhüllt...


Immer mal wieder krachten nun Naheinschläge in die umliegende Landschaft. Zwischen der Vorsperre der Talsperre Saidenbach und Lippersdorf fielen gegen 13:30 Uhr auf einmal große Hagelkörner auf das Auto, die bis um 3 cm im Durchmesser groß waren. Schlagartig setzten Sturmböen und extremer Starkregen ein. Auch der Hagelanteil nahm nun deutlich zu und dichter Hagel von 2, teils bis 3 cm Durchmesser fiel zu Boden.

 

Naheinschlag Ortsausgang Lippersdorf Richtung Forchheim...

 

Zwischen Lippersdorf und der Talsperre Saidenbach (Vorsperre) setzt extremer Starkregen, Sturm und bis zu 3 cm großer Hagel ein...

 

Dichter Hagel mit 2, teils 3 cm Durchmesser geht zu Boden...


Langsam ließ nach wenigen Minuten das Unwetter an meinem Standort etwas nach und ich verlegte weiter Richtung Forchheim, wo ich nochmals in einen heftigen Hagelschlag kam. An der Vorsperre angekommen gab es nun dichten Hagel, wobei auch viele Körner 2 bis 3 cm groß waren. Gerade der Anteil der größten Körner war nun nochmal höher als vorher. Rasch wurde es winterlich und eine Hageldecke bildete sich aus. Wasser schoss aus den umliegenden Waldgebieten in die Vorsperre. Nach einigen Minuten ließ zumindest der Hagel langsam nach, aber es regnete noch eine Zeit lang kräftig weiter.

 

Kurze Zeit später an der Vorsperre - dichter Hagel mit 2-3 cm großen Körnern...

 

Immer mehr Hagel sammelt sich an - es wird "winterlich"...

 

Nachlassendes Unwetter - Nebel bildet sich über der Hageldecke...

 

Wasser schießt aus den umliegenden Waldgebieten zu Tal...


Durch den Hagel bildete sich teilweise sehr dichter Bodennebel und es war streckenweise kaum noch was zu sehen. Der Hagel lag zusammengeschwemmt teilweise >20 cm hoch. In den umliegenden Orten ertönten nun die Sirenen. Ich sammelte derweil einige der bereits etwas angetauten Hagelkörner auf. Diese waren vielfach 2-3 cm groß und recht kompakt aus teilweise fast blankem Eis. Einzelne, etwas unförmige Körner waren auch größer als 3 cm. Denkbar, dass es lokal auch kompaktere Körner von 3-4 cm Durchmesser im Durchzugsgebiet der Zelle gegeben hat. Dennoch reicht auch die beobachtete Hagelgröße (und Falldichte) bereits für Schäden, insbesondere in der Landwirtschaft. Auch an PKW kann Hagel der beobachteten Größe bereits Spuren hinterlassen.

 

Dichter Nebel zieht über die deutlich abgekühlte Landschaft...

 

Dicke Hagelansammlungen nach dem Unwetter...

 

Gesammelter, kompakter Hagel nach dem Unwetter mit 2-3 cm Durchmesser...


Das Unwetter zog nun weiter nach Osten und sorgte bei Mittelsaida an der B101 noch für winterliche Eindrücke. Hier wurde der Hagel teils mehr als 30 cm hoch zusammengeschwemmt. Die meisten Körner waren aber in diesem Gebiet schon wieder kleiner. Auf den Weg nach Osten, so ab der Höhe Großhartmannsdorf, schwächte sich die Zelle deutlich ab und ein Teil des Systems ging in einer kleinen Gewitterlinie wieder auf, die Richtung Dippoldiswalde zog. Lokal gab es auch dort nochmal Hagel, der aber nicht mehr das Ausmaß von zuvor erreichte.

 

Gewitterrückseite und Hagelansammlungen bei Mittelsaida


In der Region Lippersdorf hatte auch die Feuerwehr einiges zu tun. So gab es im Ort Lippersdorf vor allem Probleme durch Wassereinbrüche in Gebäude und verunreinigte Straßen. Doch auch ein Blitzeinschlag in einen Baum machte Probleme. Auch die Feuerwehr Reifland eilte hier den Lippersdorfer Kameraden zu Hilfe. Einsätze gab es auch in Wernsdorf und Görsdorf. Glück im Unglück: Der Hauptniederschlagsbereich traf vor allem den unmittelbaren Einzugsbereich der Talsperre Saidenbach, was die Schadenswirkung abfederte. Insgesamt sind in dem Gebiet durch das Gewittersystem (erster Kern bei Lippersdorf + heftige Neubildung) stellenweise 60-70 mm Niederschlag in etwa 1 h gefallen. Allein bezüglich des Starkregens befinden wir uns also weit im Unwetterbereich.

 

Weitere Unwetter gab es lokal auch später noch in Sachsen. So wurde am Nachmittag auch Königswalde im Erzgebirge von einem heftigen, anhaltenden Gewitter heimgesucht. Mehr als 50 Liter Regen fielen hier in 1 h zu Boden und verursachten erhebliche Schäden im Ort. Die Feuerwehren waren dort über Stunden im Einsatz. Dennoch blieb - ausgehend von den Begleiterscheinungen - das Gewittersystem im Raum Lippersdorf die heftigste Gewitterentwicklung an diesem Tag in Sachsen...

 

Ich habe mir die Zelle später noch auf dem Dopplerradar angeschaut. Im Dopplerradar sind Zugrichtungen von Wolken und von Wolkenbereichen innerhalb von Gewittern erkennbar. Hier ist über 40 min hinweg ein zeitweise sehr schön ausgeprägter Dipol zu sehen. Ein Dipol zeigt unterschiedliche Windrichtungen auf engstem Raum und deutet normalerweise stark auf eine Mesozyklone/Superzelle hin. Eine Superzelle besitzt einen gescherten, rotierenden Aufwind und ist folglich gut organisiert sowie dadurch gefährlich (durch hohes Hagelrisiko, Tornadogefahr, Orkanböen,...), benötigt aber normalerweise eine gute Windscherung (=Änderung der Windgeschwindigkeit und Richtung mit der Höhe). Eine solche Zelle hat sich scheinbar trotz der schlechten Bedingungen (kaum Windscherung) am 28.07. entwickeln konnte. Denkbar, dass hier das Erzgebirge etwas mitgeholfen hat (durch günstiges Windprofil im Lee und günstige Outflows von Vorgängerzellen). Zumindest war es eine wirkliche Überraschung, mit der an diesem Tag wohl niemand gerechnet hatte. Leider ging die Entwicklung nicht ohne Schäden vonstatten...

 

Hier nun noch das Chasingvideo:

 

Video zum Unwetterchasing (externer Link: https://www.youtube.com/watch?v=N4pLePzSLts)

 

© Michel Oelschlägel

Datum: 12. Dezember 2024

                  

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