Dringender Tornadoverdachtsfall Carlsfeld/ Waltersglashütte durch Orkan Emma
Nach dem Orkan Emma, welcher am 1. März 2008 weite Teile Deutschland beeinflusste und teils erhebliche Schäden verursachte, konnte in den Wäldern mit regional sehr unterschiedlicher Ausprägung erneut Windbruch im Erzgebirge beobachtet werden. Die ausgeprägte Squallline an der Kaltfront des Orkantiefs sowie der nachfolgende Trog hatten dabei in Sachsen vielerorts Bäume entwurzelt und Dächer abgedeckt. Die Forstschäden beruhten dabei meist auf Einzelbrüchen, ganz im Gegensatz zu Kyrill. Dennoch gab es auch Schadflächen, gerade im Forstbezirk Eibenstock (Landkreis Aue-Schwarzenberg), wo ein größerer Teil der Bäume gebrochen oder entwurzelt wurde. Die häufig aufgetretenen orkanartigen Böen, die verbreitet an der Kaltfront und im Trog gemessen wurden, waren dafür meist nicht verantwortlich und haben eher die angesprochenen Einzelschäden verursacht. Doch gerade an der Kaltfront traten gelegentlich auch Downburstereignisse auf, die zwar in deren Anzahl nicht mit den Fallwinden an der Kaltfront Kyrills zu vergleichen waren, aber dennoch örtlich sehr schadensträchtig waren. So waren vereinzelte T2-T4-Schäden zu finden, wobei einige dieser Schadflächen auch einen dringenden Tornadoverdacht rechtfertigen, unter anderem in Carlsfeld und im benachbarten Waltersglashütte. Im Folgenden sollen vor allem die Schäden um Carlsfeld und Waltersglashütte beleuchtet werden.
Zuerst eine Übersichtskarte zum Schadensgebiet Carlsfeld, wo ich und Bernd März bereits am 2.3. Untersuchungen zum Verdachtsfall durchführten. Das Ereignis trat hier an der gewittrigen Kaltfront (Squallline) gegen 8:30 Uhr auf. Zwischen dem Ort Carlsfeld und der Talsperre Carlsfeld musste die Feuerwehr die Talsperrenstraße > 4h lang frei schneiden, um die Zufahr zur Talsperre wieder möglich zu machen. Die 2. Straße zur Talsperre war weiterhin durch umgestürzte Bäume versperrt und zum Zeitpunkt der Aufnahmen (2.3.) noch nicht passierbar. Das wahre Schadensausmaß wurde uns jedoch erst Monate später bekannt und wird anschließend im Verlauf dieser Analyse noch diskutiert.
Das hochauflösende IRAS-Radar zeigte übrigens Reflektivitäten von bis zu 55 dBZ bei Carlsfeld.
Folgend nun die Karten zu den ersten durchgeführten Untersuchungen vom 2.3.08 bei Carlsfeld:
Wie aus den Karten deutlich wird, sind es 2 nahezu parallele Schneisen. Betrachtet wird zuerst Schneise 1.
Den in der obigen und die in den folgenden Karten zu sehenden blauen Bildpunkten sind folgend jeweils Bilder zugeordnet. Zugleich ist in der Karte auch die Blickrichtung anhand der am jeweiligen Punkt angezeichnete Linie angedeutet.
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Man beachte hier und folgend die unterschiedlichen Fallrichtungen!
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Knapp am Haus vorbei...
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Auch ein konvergentes Muster...
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...wie auch hier...
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Und hier der Rest von Schneise 1:
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Standpunkt in der Schneise, Blick entlang der Zugrichtung, die Bäume liegen also nicht in Zugrichtung
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Speziell für Schneise 1 soll auf den folgenden Karten nochmal die Fallrichtung einiger Bäume gezeigt werden.
Fallrichtungen: Die beiden Karten zeigen 2 markante Ausschnitte aus der Schneise 1. Die Bäume sind in Richtung des langen Striches von L gefallen.
Folgend nun Schneise 2:
freistehende, sehr stabile Fichte mit großer Wurzel wurde geknickt
Kleine exponierte und damit stabile Baumgruppe...
Nach neuen Hinweisen (vielen Dank diesbezüglich vor allem an Christian Böhme) waren Bernd März und ich am 25.4. und 26.4. nochmals vor Ort, um den Verdachtfall erneut zu untersuchen. Dabei kamen bedeutende neue Erkenntnisse ans Licht. Die "Schneisen" bzw. das Schadensgebiet war weitaus größer als vorerst vermutet. Auch das etwa 1 km entfernte Waltersglashütte war stark betroffen! Daher wurde nun auch dieser Bereich erneut untersucht!
Die folgende Karte gibt das letztendlich bekanntgewordene Gesamtschadensgebiet wieder. Die Bildpunkte 1-8 wurden bereits weiter oben bei den Untersuchungen zu Carlsfeld am 2.3. genau untersucht und diskutiert. Im Folgenden soll auf den weiteren Verlauf eingegangen werden.
Gesamtübersicht des Schadensgebietes nach den neuen Erkenntnissen der Untersuchungen Ende April
Zu jeden neuen Bildpunkt (ab 9) in der Karte mit der Gesamtübersicht sind im folgenden Bilder aus dem unmittelbaren Gebiet zugeordnet. Auf eine so detaillierte Untersuchung wie im ersten Teil der Analyse (Karte mit Fallrichtungen, genaue Bildpunkte mit Blickrichtung) wurde hier verzichtet. Viele der hier gezeigten Bilder wurden von Bernd März aufgenommen, vielen Dank an dieser Stelle für das Bereitstellen der Fotos.
9 (südliche Nebenschneise)
Die Bilder zeigen die Südliche der beiden Schneisen...
Blick nach Norden auf die Hauptschneise
Hier treffen Haupt- und Nebenschneisen wieder aufeinander...
Breite Schadfläche am Schnittpunkt aller 3 Schneisen
Anschließend wurde das Starkwindereignis etwas schwächer, man beachte hier die geringe Breite und scharfe Begrenzung der Schäden!
Sehr scharf begrenztes, langezogenes Schadensgebiet (hier kurzzeitig schwächer)...
Weiterer Verlauf der hier nur recht schmalen Schneise nach Überquerung einer kleinen Lichtung!
Hier wurde das Ereignis wieder stärker und es spaltet sich erneut in 2 Schneisen auf...
Nördliche Nebenschneise, südlich davon nach einem "Stück" intakten Wald die Hauptschneise
Blick in die Hauptschneise, dahinter beginnt erneut Feld und es liegt die Gemeinde Walterglashütte
Umgestürzte Bäume im Ort Waltersglashütte, hier wurden auch Dächer zum großen Teil abgedeckt - im Nordteil des Ortes dagegen keine Schäden an den Dächern
Schäden am Beginn einer neuen Nebenschneise
Scheune neben! der 2., starken Nebenschneise, welche von Süden zur Hauptschneise hin verläuft - hier wurden Teile der Dachpappe abgedeckt und bis zu 500 m weit verfrachtet
Verlauf der 2., starken Nebenschneise, ebenso auf den folgenden Bildern
Man beachte die teils recht unterschiedlich gefallenen Bäume...
Blick nach Nordosten, entlang der 2. starken, südlich verlaufenden (Neben-)Schneise
Blick zurück nach Südwesten
Hier überquert die Nebenschneise auch ein Stück Wiese eines benachbarten Feldes bzw. tangiert gleichzeitig weiterhin den Waldrand dahinter
Selber Schaden wie oben, nur Blick etwas südlicher
Selber Standort wie oben, aber Blick nicht nach Südosten, sondern nach Nordosten - verfrachtete Dachteile auf dem Feld, im Hintergrund Schadensgebiet 21
Blicke ins Schadensgebiet 20 der Nebenschneise, Richtung Süden
Blicke ins Schadensgebiet 20 der Nebenschneise, Richtung Süd-Südosten
Blicke ins Schadensgebiet 20 der Nebenschneise, Richtung Osten
Blick in das Schadensgebiet 21 - hier treffen sich Hauptschneise und die südliche Nebenschneise (von Bildpunkt 19 und 20) - Blick Norden
Blick in das Schadensgebiet 21 - Blick Nord-Nordost
Blick vom Feld in das Schadensgebiet, Blick Richtung Ost-Nordosten
Ähnlicher Ausschnitt wie Bild darüber...
Schadensgebiet 21: von anderer Seite des Schadensgebietes aufgenommen, Blick Richtung Süden
Schadensgebiet 21: von anderer Seite des Schadensgebietes aufgenommen, Blick Richtung Süd-Südosten
Schadensgebiet 21: von anderer Seite des Schadensgebietes aufgenommen, Blick Richtung Südosten
Ähnliche Perspektive wie oben...
Blick vom westlichen Rand des Schadensgebietes 21 zurück auf Nebenschneise - Blick Richtung Südwesten
Im weiteren Verlauf wurde die Schneise kurzzeitig wieder recht schmal, hier Blick auf Punkt 22, Blickrichtung Süd-Westen!
Ähnliche Perspektive wie Bild darüber...
Blick nach Nordosten, den entwaldeten Hang hinauf...
Zum Teil recht konvergentes Fallmuster!
Blick nach Norden auf die Wurffläche
Gesamtperspektive von Waltersglashütte aus aufgenommen, "unten" Schadensgebiet 21, dahinter Schadensgebiet 23, Blickrichtung Ost-Nordost
Ebenfalls aus Waltersglashütte aufgenommen, allerdings von weiter nördlich, man erkennt die große Ausdehnung von Schadengebiet 23 der Schneise - Blickrichtung Osten
"Augenzeugen" sprechen davon, dass kurz vor Eintreffen der Front, also kurz vor der "weißen" Wand mit Schnee, Graupel und Hagel, extremer "Sturm" aufkam und in wenigen Sekunden die enormen Schaden angerichtet wurden - anschließend setzte sofort der Niederschlag ein, der Wind ließ rasch nach, es gab nur noch einige Böen. Allerdings waren kaum Augenzeugen zu finden, da es eben recht früh am Morgen war und so mancher noch schlief.
Insgesamt spricht hier doch vieles für ein Tornadoereignis, wie das Länge-Breite-Verhältnis und das teils doch sehr konvergente Fallmuster. Durch die zahlreichen starken Nebenschneisen wäre ein Multivortextornado wahrscheinlich. Die Intensität kann man dabei mit wenigstens T3 (> 150 km/h) ansetzen, teils wurde eventuell auch T4-Intensität (> 180 km/h) erreicht. Südlich dieses komplexen Schadensgebietes fanden sich noch kleine Wurfflächen, welche von starken Downbursts stammen dürften, die das Hauptereignis flankierten. Insgesamt ähnelt das Ereignis doch sehr dem Multivortextornado vom 29.7.05 in Johanngeorgenstadt und Erlabrunn, wenngleich damals die Intensität noch höher lag.
Zuletzt sei noch erwähnt, dass es zwar in der Gegend auch große Wurfflächen und Schädigungen des dortigen Bestandes durch Orkan Kyrill gab, aber der unmittelbare Bereich der neuen Schäden durch die Kaltfront Emmas in Carlsfeld und Waltersglashütte (im Bereich der hier dokumentierten Schäden) zuvor so gut wie vollständig intakt war. Vorschäden durch Kyrill gab es direkt in dem Bereich also nicht. Die schweren Schäden und großen Wurfflächen von Kyrill finden sich eher zwischen Johanngeorgenstadt und Waltersglashütte entlang der Kammloipe.
© Michel Oelschlägel
Datum: 11. Dezember 2024