Schwerer Sturm in Deutschland und Sachsen durch Orkantief Thomas am 23. und 24.02.2017

 

Nachdem der Januar sehr winterlich abschloss, zeigte sich der Februar meist hochdruckdominant und ohne neuerliche Schneefälle. Im Gegenteil, es gab zeitweise milden Hochdruckeinfluss bei teils über 10°C und Sonne, wodurch die Schneedecke mehr und mehr abtaute. Ab Mitte Februar setzte sich zudem eine Westlage mit Regen und Wind durch, wodurch die Schneedecke ebenfalls massiv an Substanz verlor. Blieb die Schneedecke in Freiberg bis zum 17.02. noch weitgehend geschlossen, gab es am 18.02. auf exponierten Feldern und Sonnenhängen bereits immer mehr grüne Flecken. Am 22.02. brachte Tief Stefan erneut kräftigeren Regen und Böen von 60-70, teils über 80 km/h mit sich. Ganz vereinzelt gab es durch diese Böen in Verbindung mit dem in Folge der Schneeschmelze sehr nassen Boden sogar umgestürzte Bäume im Erzgebirge und im Vorland. Das Tauwetter führte auch zu Hochwasser in Sachsen, wobei die Meldestufen 1-2 erreicht wurden und es zu lokalen Überflutungen kam. Bis zum 23.02. war dann im Raum Freiberg bereits alles weitgehend schneefrei, abgesehen von Resten hoher Verwehungen und von den aufgeschaufelten Schneebergen.


Am 23.02. zog vom Atlantik ein neuer Sturm auf und verursachte in Deutschland an seiner Warmfront anfangs kräftigen Regen, wobei lokal mehr als 40 Liter/qm 24 h fielen - in Staulagen sogar mehr. Das Tief Thomas entwickelte sich derweil über den Britischen Inseln zu einem Orkantief. Als Shapiro-Keyser-Zyklone bildete das Tief dort sogar einen sogenannten Sting-Jet aus. Dieser kann entstehen, da bei diesen Tiefs die Warmfront sehr stark ausgeprägt und nicht an die Kaltfront gekoppelt ist, es also keine echte Okklusion gibt. Rückseitig der Kaltfront fließt mit dem Dry-Slot (Bereich trockener Luft) sehr trockene Luft ein, wodurch die Niederschläge der um den Kern herumgeholten Warmfront in die trockene Luft gelangen und dabei verdunsten. Durch die Verdunstungskälte labilisiert dort die Atmosphäre und die Luft stürzt quasi zu Boden, was den Höhenwind zum Boden durchmischt.


Der angesprochene Sting-Jet führte insbesondere in Teilen Irlands und von Wales und Liverpool bis in den Südosten von England zu Böen von 100-120 km/h im Binnenland, teils wurden sogar um 130 km/h gemessen. An der Küste wurden Böen von über 130 km/h registriert, lokal in Wales sogar >150 km/h. Es gab dort massive Sturmschäden und sogar ein Todesopfer. Das Tief zog mit seinem Kern im Laufe des Tages auf die Nordsee hinaus und dann weiter Richtung Osten. Dabei beeinflusste sein Sturmfeld nachfolgend auch Teile Mitteleuropas.


Währenddessen schwächte sich das Tief wieder etwas ab und der Sting-Jet löste sich wieder auf. Es bildete sich nun eine ausgeprägtere Kaltfront aus. Kernnah im Trog formierten sich zudem einige Schauer und Gewitter. Die Schauer und die Kaltfront mischten dabei teilweise den starken Höhenwind im labilen Trog bis in die tiefen Lagen herab. Aber auch ohne Schauer und Gewitter gab es signifikante Böen. In Holland gab es an der Küste Windspitzen von 100-120 km/h, lokal auch noch mehr - im Binnenland 90-100 km/h, vereinzelt auch orkanartige Böen über 103 km/h. Durch die Schauer und Gewitter traten küstennah aber auch Böen von mehr als 140 km/h auf, im Binnenland orkanartige Böen, vereinzelt Orkanböen. Es gab erhebliche Sturmschäden in Holland.


In Westdeutschland gab es nach der Kaltfront und im Trogbereich Böen von 80-90, teils um 100 km/h - an exponierten Stellen auch darüber. Durch Schauer und Gewitter sowie die Kaltfront traten aber auch orkanartige Böen von lokal über 110 km/h auf! Es gab vielerorts Sturmschäden und Behinderungen durch umgestürzte Bäume. Auf dem Weg Richtung Osten schwächte sich das Sturmfeld leicht ab. Im Warmsektor wurden vor allem im Süden des Landes (Alpenlee) zuvor Temperaturen von teils über 20 Grad gemessen.


Die Kaltfront war  - wie für Shapiro-Keyser-Zyklone typisch - nicht sonderlich gut ausgeprägt und wenig organisiert. Sie wanderte in den trockenen Leebereich (=windabgewandte Seite eines Gebirges mit geringer Luftfeuchte) der deutschen Mittelgebirge hinein und trocknete mehr und mehr ab. An der vertrocknenden Kaltfront, die am Boden teils kaum noch Niederschlag in Sachsen brachte, traten in Mitteldeutschland kurzzeitig Böen von 80-90, teils um 100 km/h auf. Lokal gab es - wie in Bad-Dürrenberg oder in Oschatz mit 104 km/h - orkanartige Böen. Dadurch gab es bereits erste lokale Schäden in Sachsen und Thüringen. Zugleich floss nun rückseitig durch den noch recht gut ausgeprägten Dry-Slot sehr trockene Luft in Thüringen und Sachsen ein. Zudem stabilisierte es dort etwas und die labile und durchmischte Luftmasse aus dem Westen konnte anfangs nicht auf diese Gebiete übergreifen. Folglich gab es, von einigen kräftigen Leeböen abgesehen, vorerst kaum weitere signifikante Böen in diesen Bundesländern. Die vergleichsweise trockene Luft wurde durch den anhaltenden Südwestwind im Gebirgslee von Thüringer Wald und Erzgebirge noch weiter abgetrocknet und die relativen Luftfeuchten lagen nach der Kaltfront weiterhin teils bei unter 50%! Das führte dazu, dass alle Schauer, welche aus dem Westen Deutschlands nach Thüringen und Sachsen hineinzogen, ebenfalls vertrockneten. Das war allerdings nicht ungefährlich, da durch die entstehende Verdunstungskälte (wie auch zuvor an der vertrocknenden Kaltfront, welche in den trockenen Leebereich hineinwanderte) heftige Böen in dem sonst eher stabiler geschichteten Bereich über Mitteldeutschland auftraten (ähnlich wie bei einem Sting-Jet, nur sehr lokal). Die abtrocknenden Schauer brachten folglich in Mitteldeutschland kurzzeitig Böen von 80-90, teils um oder gar knapp über 100 km/h.


Das Sturmfeld verstärkte sich im Laufe der Nacht rückseitig des über der Ostsee abziehenden Tiefs nochmals durch eine Zunahme der Isobaren-Drängung in Folge eines nachrückenden Zwischenhochs. Dabei traten vor allem über Hessen weiterhin und zunehmend auch in Franken schwere Sturmböen, in Schauern auch teils orkanartige Böen auf. Zunehmend drückte jetzt die Warmfront/Okklusion rückseitig im Trog in die oben angesprochene trockene Luft über Thüringen, Teile Sachsens und Süd-Sachsen-Anhalt. Die hereinziehenden, ausgeprägten Niederschlagsgebiete verdunsteten nun erneut in dieser Luftmasse und führten zu einer breiten Labilisierung. Verbreitet traten nun von Süd-Sachsen-Anhalt und Thüringen voranschreitend schwere Sturmböen von 90-100 km/h auf, lokal auch orkanartige Böen (Querfurt mit 104 km/h). Gegen 3:30 Uhr legte auch in Sachsen der Wind stark zu und erreichte von 4-6 Uhr seinen Höhepunkt. Nun wurden insbesondere in einem Streifen von Rochlitz - Chemnitz - Freiberg -Zinnwald und im Bereich Kamenz und Hoyerswerda bis Zittau sowie südlich davon Böen von 90-100 km/h erreicht. Lokal traten auch wieder orkanartige Böen auf, wobei 115 km/h in Ehrenfriedersdorf (Meteomedia), 109 km/h in Kamenz (private Station von Jens Tischer) und 108 km/h in Chemnitz/Petrikirche (privat, Wetternetz-Sachsen) gemessen wurden. Zunehmend setzte sich kräftiger Schneeregen und Schneefall durch, der vom Wind quasi waagerecht über die Landschaft geweht wurde. Auf den Bergen gab es übrigens bereits die ganze Nacht über Orkanböen, wobei auf dem Fichtelberg die höchsten Werte ebenfalls erst am Morgen durch den oben angesprochenen Effekt gemessen werden konnten. Letztlich konnten auf dem Fichtelberg bis 148 km/h, auf dem Brocken zuvor gar bis 157 km/h gemessen werden.


Ich befand mich zur Zeit des heftigsten Sturmes in Sachsen im Bereich zwischen Freiberg und Oederan. Anfang konnte man sehr schön beobachten, dass es immer mal wieder ein paar Schneeflocken gab und anschließend heftige Böen. Die Niederschläge vertrockneten zu dieser Zeit noch weitgehend. Später setzte sich langsam der Schneefall durch und wurde immer heftiger. Folglich traten auch immer häufiger signifikanten Böen auf. Ich konnte zwischen 5 und 6 Uhr zwischen Oederan und Kirchbach Böen von bis zu 92 km/h mit dem Handwindmesser (Windmaster 2) messen, wobei ich auf max. 2 m gemessen hatte und nicht wie sonst üblich auf 10 m. Hochgerechnet auf eine Höhe von 10 m sind Böen um 100 km/h wahrscheinlich, ev. auch etwas mehr. Es gab auch eine sichtbare "Blitzentladung" (ein Flackern) am Himmel, wobei die offiziellen Blitz-Erfassungssysteme zu dieser Zeit keinen Blitz registriert haben. Falls dieser Blitz nicht durch das Raster "gerutscht" ist (was passieren kann), könnte es sich eventuell auch um eine Bogenentladung an Stromleitungen gehandelt haben, bspw. durch einen in eine Stromleitung fallenden Ast. 

 

Heftiger Sturm am Morgen des 24.02. in Sachsen mit Spitzen um und über 100 km/h...

 

Zunehmend setzt heftiger Schneefall ein - bei unverändert hohen Böen...


Im nachrückenden labilen Trog gab es weiterhin Sturmböen, teils auch schwere Sturmböen über 90 km/h. Der Wind drehte nun von WSW nach W bis später auf WNW. Im Lee des Erzgebirges trat in Tschechien nun ein schwerer Leesturm mit mind. orkanartigen Spitzenböen auf, wobei u.a. in Tusimice Böen von bis zu 115 km/h gemessen werden konnten. Es gab dort erhebliche Sturmschäden und zahlreiche Feuerwehreinsätze. Auch im Lee des Thüringer Waldes gab es von Franken bis in den Raum Hof einen heftigen Leesturm mit Böen von 80-100 km/h, teils darüber. Entsprechend gab es auch hier weitere Sturmschäden.


Ich fuhr nun noch etwas umher und dokumentierte weiterhin den langsam nachlassenden Sturm nach Sonnenaufgang. Nicht weit entfernt von meinem Standort, wo ich mich während des Sturmhöhepunktes aufhielt, brach u.a. ein großer Laubbaum ab und verfehlte nur knapp ein Haus. Teile der Krone reichten bis auf die Straße. In einem nahegelegenen Wald hatte es nach dem schweren Sturm Egon am 13.01.2017 nun wieder einige Bäume entwurzelt. Noch während ich mich dort aufhielt fielen mit einer heftigen Böen noch 2 Fichten um. Ich fuhr anschließend langsam wieder Richtung Freiberg zurück.

 

Auch nach Sonnenaufgang gibt es weiterhin einige schwere Sturmböen...

 

Umgestürzte Fichte bei Memmendorf - Mind. 5 Fichten hat der Sturm in dem kleinen Waldstück entwurzelt...

 

Nur zögerlich lässt der heftige Sturm nach...

 

Ein im Sturm abgebrochener Laubbaum hat ein Haus nur knapp verfehlt - aufgenommen unweit meines Standortes während des Sturmhöhepunktes...


Der heftige Sturm durch einen "Quasi-Sting-Jet" am Morgen führte in weiten Teilen von Thüringen, Süd-Sachsen-Anhalt und Sachsen zu Sturmschäden. Zahlreiche Straßen waren durch umgestürzte Bäume blockiert, die Feuerwehren im Dauereinsatz. Teils fuhren Autos gegen umgestürzte Bäume, in Lößnitz bei Aue (Sachsen) fiel ein Baum auf ein Hausdach. Bei Rochlitz (Sachsen) fiel ein Strommast um, in Großenhain (ebenfalls Sachsen) stürzte ein altes unbewohntes Haus ein. Insgesamt gab es allein in Westsachsen 125 Feuerwehreinsätze durch den Sturm.


Im Laufe des Vormittages ließ der Wind deutlich nach. Dafür bildeten sich in der einfließenden Kaltluft verbreitet Graupel- und Schneeschauer, lokal auch kurze Wintergewitter. Diese führten insbesondere im Erzgebirge zu heftigem Schneefall mit einigen Zentimetern Neuschnee. Es gab mancherorts erhebliche Verkehrsbehinderungen. Besonders betroffen war die B174 bei Marienberg, wo es nach einem Wintergewitter mehrere Unfälle gab. Erst am Abend beruhigte sich das Wetter und es wurde frostig kalt. Doch bereits in den Folgetagen wurde es wieder deutlich milder und die vorherrschende Westwetterlage führte neue Tiefdruckgebiete nach Mitteleuropa.

 

Trog- bzw. Rückseitenwetter mit Schnee- und Graupelschauern, teils Gewittern...

 

 

Heftige gewittrige Schneeschauer gibt es am Nachmittag im Erzgebirge...

 

 

Abziehende Schauer am Erzgebirge...

 


Orkantief Thomas verursachte das 2. schwere Sturmereignis in Teilen Sachsens nach Orkantief Egon am 13.01.2017 in diesem Winter. Erneut traten Sturmschäden auf, diesmal in einem größeren Gebiet als zuvor durch Tief Egon (damals Föhnsturm mit Schwerpunkt Chemnitz und südl. Mittelsachsen). Zudem waren die Böden diesmal nicht mit einer dicken Schneedecke bedeckt und nicht gefroren, sondern aufgetaut und durch die Schneeschmelze auch sehr wasserhaltig. Teils gab es sogar erhebliche Staunässe. Dadurch fielen auch etwas mehr Bäume dem Sturm zum Opfer als bei trockenen Bedingungen, da ein nasser Boden den Bäumen weniger Halt bietet. Meist handelt es sich bei den neuen Sturmschäden um Einzelbrüche im Waldbestand, doch vereinzelt gibt es, vor allem in exponierten und gleichzeitig "anfälligen" Beständen sowie Beständen mit mehr Staunässe, auch kleinere Wurfnester. Allein im Bereich Bärenfels in Ostsachsen wird von mind. 1500 Festmetern Bruchholz ausgegangen. Zu den anderen Regionen liegt noch keine Bilanz vor. Nachfolgend einige Bilder von einigen Sturmschäden...

 

Umgestürzter Baum bei Kleinbobritzsch...

 

Orteingang Bärenfels...

 

Hier gibt es auch kleinere Wurfnester...

 

 

Umgestürzte große Fichte zwischen Bärenfels und Kippsdorf...

 

Umgestürzte Bäume im Freiberger Wald...

 

 

 

 

 

Entwurzelter großer Laubbaum bei Falkenbach nahe Annaberg... (Foto: Norbert Weichel)

 

(Foto: Norbert Weichel)

 

umgestürzter Baum in Freiberg nahe der Universität

 

 

Zuletzt noch ein Video zum Sturm am 24.02. in Sachsen - aufgenommen zwischen Freiberg und Oederan im Erzgebirgsvorland - und den Sturmschäden:

 

(externer Link: https://www.youtube.com/watch?v=_kt5tVPNXGs)

 

© Michel Oelschlägel

Datum: 29. März 2024

                  

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